die Welt ist auch Klang
Die Stille will nicht verklingen die Stille will nicht verklingen die Stille will nicht
verklingen die Stille will nicht verklingen die Stille will nicht verklingen
Die Stille will nicht verklingen die Stille will
nicht verklingen die Stille will
nicht verklingen
die Stille[1]
wenn wir die Ohren öffnen und – vielleicht mit geschlossenen Augen –empfangsbereit sind für den Sound, die Geräusche und Klänge unserer Umgebung, gibt es meistens ein reiches Angebot.
Wenn es sehr still ist, hören wir diese Stille. Sie berührt unseren Körper, wir spüren dieses Schweigen, eine Leere in Ruhe, vielleicht Frieden, offenes Lauschen.
Achtsames Hören ist öffnen der Ohren für vorhandene Klänge. Die Welt ist nun alles was nah und fern zu hören ist.
Es ist ein bewusstes Auf- ja Einnehmen von Geräuschen, Stimmen und Klängen. Ohne eine spezifische Absicht oder Zielsetzung, als die, Hin zu hören, empfangsbereit, – neugierig zu sein und die vorbei schwebenden oder eindringenden Geräusche kommen zu lassen, zu spüren, mehr zu akzeptieren als zu kontrollieren. Empfangsbereitschaft.
Das ist beim Hören mitunter anstrengend, schwieriger, als beim achtsamen Sehen. Geräusche können laut, unangenehm, schrill oder nervend sein. Sie lassen sich schwerer kontrollieren und ausblenden als die Bilder. Das Ohr hat keine Lider.
In meinem Heimatort sind z.B. die Überfluggeräusche der vom Frankfurter Flughafen startenden Flieger sehr negativ bewertet und oftmals störend.
Seit Jahren empören sich viele Bürger über diese Belästigungen, engagieren sich für andere Flugrouten, achten auf die Einhaltung der Nachtflugverbote, schreiben Leserbriefe und betonen die gesundheitlichen Belastungen.
Doch auch der Neu- und Umbau von Häusern, Laubbläser, Rasenmäher, Häcksler, Hochdruckreiniger, Verkehrslärm etc. schaffen eine Vielzahl anstrengender Geräusche.
Groß scheint die Sehnsucht nach Stille, oder jedenfalls die Abwesenheit von Lärm, den andere erzeugen. Gerade, weil es kaum möglich ist sich von diesem Krach zu befreien.
Wenn man ihn selbst erzeugt, kann man ihn leichter beenden.
Der Markt hat längst reagiert und mit Noise-cancelling Kopfhörern eine technische Lösung geschaffen, mit der man nicht nur störende Außengeräusche beim Musikhören wegfiltern kann, sondern auch, um einfach Stille zu haben.
Bei einem Achtsamkeitskurs in der JVA Dieburg, empörte sich ein Mann in den Dreißigern über die morgendliche Lärmbelästigung durch das Geläut der Domglocken, die gerade gegenüber dem Gefängnis läuten. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, schlug ich ihm ein Selbstexperiment vor: Glocken seien ja, so störend sie manchmal sein mögen, eigentlich Kunstwerke, vielleicht die gewaltigsten Musikinstrumente, die wir kennen. Sie werden in einem sehr aufwändigen Verfahren von Hand aus Glockenbronze ( 4:1 Kupfer zu Zinn) gegossen und reich verziert, auf einen präzisen Ton gestimmt, der zu den Tönen der anderen Glocken passen soll. Es wäre vielleicht spannend, wenn er mal hinhören mag wie genau denn die Glocken morgens klingen, wie sich dieser Klang anhört., schrill, dumpf weich, weit, metallisch, ob er durchgehend sehr unangenehm ist oder manchmal vielleicht weniger. Ich war überrascht als er beim nächsten Treffen der Gruppe von sich aus erzählte, wie er diesen scheppernden Klang wahrgenommen hat und wie die Glocken ihn bei einem solchen Hören auch weniger gestört hätten, das sei manchmal ganz interessant gewesen. Irgendwie hatte er sich – zumindest ein wenig und gelegentlich- von einem empörten und hilflosen Opfer zu einem Hörforscher und Hinhörer erweitert.
Jeder Ort zu seiner Zeit ist auch ein Klangort. Zu einem solchen wird er auf besondere Weise, wenn wir uns entschließen bewusst hinzuhören, die Augen schließen. Dann entsteht für den achtsamen Hörer eine, sich mit der Zeit wandelnde „Klangkarte“, dessen was für ihn zu hören ist.
Die Zeit, die hörbare Welt und die Hörerin sind die „Komponisten“, jedes Stück ist einmalig und den Aufführenden ist ihre Rolle verborgen, bzw. sie werde durch die Hörer/das Hören zu solchen.
Hörbeispiele:
I
Gerade sitze ich mit geschlossenen Augen am geöffneten Fenster der Hirschparkklinik Jugenheim. Es ist Sonntag, der 11. Oktober 2024, 14:21. Ich beschließe, drei Minuten zu lauschen und meinen Klangeindruck festzuhalten:
Es ist nicht laut. Ein mahlend-schabendes Grundrauschen ist immer da; ich vermute die 2-3 km entfernte Autobahn, ebenso ein helles Rauschen in meinen Ohren, dass von meinem Kopf/Körper erzeugt wird. Über diesem “Ostinato“ ertönen gelegentlich andere Klänge, Geräusche.
Hundegebell. Das Scharren eines Stuhls. Aus dem fernen Rauschen von Autos, hebt sich einige Male ein lauteres Motorengeräusch heraus. Meine Bewegung im Sessel schafft ein vielfältiges Knarren, Knautschgeräusche des Leders. Im Haus erklingen immer wieder leise Geräusche, deren Quelle mir nicht klar ist. Gegen Ende der drei Minuten, quert ein Flieger die Klangkarte, ein langes Crescendo und Decrescendo. Das „Stück“ endet mit dem lauten Schlagen einer Tür.
Es fällt mir schwer, die Augen zu öffnen und aufzuschreiben, was ich gehört habe, weil diese Hörerfahrung, trotz gewisser Gleichförmigkeit, recht spannend ist. Wahrscheinlich sogar wegen dieses „grauen Klangteppichs“, werden neue Stimmen besonders wichtig und ich warte darauf, sie zu entdecken und auch zu erkennen.
II
Katholische Hospitalkirche Bensheim, 14. Jahrhundert, Sontag, 3. Okt. 16:00-16:03
Hier ist es ganz still. Da hinein metallisches Schlagen einer kleinen Glocke, vier Mal kurz. Wieder ganz still.
Eine Münze klingt am Boden einer Spendendose. In dieser Stille wird jedes Geräusch groß und wichtig. Füllt den Raum. Nun entfernen sich Schritte, Ledersohle auf den Platten. Stille—
Ganz leise Kinderstimmen von Draußen. Ich höre meinen Atem und ich höre den Raum, seine besondere Akustik, jedes Geräusch wird dreidimensional. Es fällt mir schwer die Augen zu schließen, weil der Raum, besonders die Fenster so schön sind.
III
Darmstädter Nordbad, Donnerstag, 31.10. 15:45-16:00
Auf einer Liege, neben dem Nichtschwimmerbecken, ausgestreckt mit geschlossenen Augen höre ich Wasser, planschen, einlaufen, rauschen, unaufhörlich wellig-helle Wassertöne in der etwas halligen Akustik dieses schönen Hallenbades. Holz, Glas, Beton.
Darin viele Stimmen, Kinderjauchzer, ermutigende Erwachsene mit frohen, anerkennenden Stimmen, Das meiste im Wortsinn unverständlich, doch glücklich, ausgelassen, ganz hingegeben an dieses fröhliche, gemeinsame Wasserspiel. Wenn ich den Kopf nach rechts drehe, höre ich das helle Geplätscher einlaufenden Wassers, das verschwindet, wenn ich den Kopf zurückdrehe.
Ich werde ganz Ohr. Ich bin verschwunden, komme in dieser Wassermusik nicht vor, fühle mich gleichwohl eng verbunden mit diesen vielen fröhlichen Wassermenschen. Irgendwie löse ich mich auf in diesem stetigen rauschenden Gemisch von Wasser, Kinder-, Mütter,- und Väterstimmen, Schwimmlehrern. Die Zeit bleibt fast stehen, die Wassermusik wird ein Dauerklang. Erinnerung an den Klang von eben und Erwartung des kommenden Klangs fallen zusammen mit dem, was ich gerade höre. Ich spüre eine große Harmonie und Verbundenheit, ein Glück, in dem ich eintauche und verschwinde, nur noch Hörer, getragen vom Klangbett.
[1] Eggemann-Dann, Walter Vorjohan, Manchmal gehe ich durch Arheilgen, Heimatgedichte, Justus von Liebig Verlag, 2015
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