Ich gehe ans Meer, wenige Menschen sitzen auf dem Kiesstrand. Die Sonne erreicht ihn Schritt für Schritt. Es ist 8:00. Ich setze mich hin, schaue aufs schwach bewegte Meer und beschließe zu meditieren. Ich gehe in weite Achtsamkeit, also indem ich ohne Fokus und ohne viel oder intensiv wahrnehmen zu wollen, einfach nur schaue, höre und fühle, was gerade geschieht. Wie meistens morgens fällt mir viel ein, praktische Probleme, Nachdenkliches. Die Augen sind offen, das Meer hat eine graugrüne Farbe. Das Morgenlicht weitet sich aus. Die Felsen rechts und links der großen Bucht von Sanary bekommen eine orangene Farbe und die Oberkörper und Köpfe der Badenden beginnen zu leuchten. Sie vermehren sich. Derzeit ist es in Frankreich Mode, mit ausholenden Arm- und Beinbewegungen durch das Meer zu wandern. Nur noch wenige schwimmen morgens. Vermutlich hat sich die Nachricht verbreitet, dass es gesünder ist, durch das Wasser zu staksen. Manche allerdings schenken sich dabei die großen Bewegungen, wandern in Gruppen oder plaudern.
Ich schaue ihnen zu und gehe mental die holprigeren Wege des Tages, der gerade in die Gänge kommt. Es gibt ja immer viel zu planen, zu organisieren. Ich lasse die Gedanken geschehen, um auf diese Weise in die Haltung der Achtsamkeit zu kommen. Ab und an erinnere ich mich an mein Vorhaben und weite wieder meine Aufmerksamkeit.
Es hilft mir, den Blick weich zu gestalten. Sofort verschwimmt alles ein wenig, mein Blickfeld wird etwas größer, meine Augen entspannen sich und mit ihnen mein körperliche und meine mentale Haltung. Ich kenne keinen einfacheren Weg, in die Haltung der weiteren Achtsamkeit zu kommen. Dennoch: Die Gedanken sind auch wach und finden immer wieder ein Weg, mich zu beschäftigen. Ich beschließe, ins Wasser zu gehen. Die Kieselschicht endet rasch und ein samtiger Sandboden trägt meine Füße. Es ist leicht, auf ihn zu achten. Das Wasser wird mit jedem Schritt klarer, verwandelt sich in ein mildes Flaschengrün. Es ist warm und kräuselt sich auf meiner Haut. Meine Konturen verschwimmen. Die Wellen nähern sich zurückhaltend und sanft. Das alles ist mir vertraut und ich versinke erneut in Abwesenheit. Aber ich spüre immer noch, dass ich nicht ganz da bin, ich habe das Gefühl, vor einem Vorhang zu stehen, hinter dem sich Dinge abspielen, die ich gerne wissen würde und am Ende auch wissen sollte. Ich bedaure das. Ich fokussiere die Wärme des Wassers, die Leichtigkeit meines Körpers. Ich versuche es mit den Geräuschen als könnten sie mir erklären, wie ich den Vorhang bei Seite ziehen kann. Kann nicht auch mein Wille dafür sorgen, dass der Vorhang fällt?
Und plötzlich bilden die Lichtreflexe auf dem Wasser Noten wie bei einem großen Akkord. Mindestens sechs Lichtnoten übereinander bewegen sich, tanzen natürlich. Sie strahlen. Und nun hat sich alles andere blitzartig zurückgezogen. Ich sehe mich nach meinen Gedanken um. Sie stehen hinter mir, weit genug entfernt, um sie nicht mehr voneinander unterscheiden zu können, aufgereiht wie ein Chor, bevor er auf der Bühne nach vorne tritt, um sich zu verneigen. Aber noch bleiben sie im Halbdunkel, während vorne auf der Bühne die Lichter weiter tanzen und strahlen, für mich, für sich. Von mir aus könnte es immer so weitergehen. Eine ganze Weile spielen sie und ich bleibe bei ihnen. Dann kommen treten erneut Gedanken hinzu, ganz ohne Anstrengung. Ich weiß, dass dieses Erlebnis mich durch diesen und vermutlich weitere Tage begleiten wird und ich es jederzeit nutzen kann. Ein beruhigender Gedanke. Ich brauche diese Gewissheit manchmal. Die tanzenden Lichtreflexe enden nicht einfach, sie sind hier und dort. Ich nehme ein paar mit zu den Menschen, die durch das flache Wasser ziehen, mit zum trüberen Wasser, in die Wärme der Sonnenstrahlen, die meinen ganzen Körper erfassen. Ich ziehe mich an, verlasse den Kies und die Sonne und nehme das Meer mit.
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